Autor: Željko Malešević, МА, Gemeinderat in Linz
„Die Auswanderung aus Serbien, Montenegro, der Serbischen Republik (Republika Srpska) und aus anderen serbischen Gebieten dauert noch heutzutage und hat ziemlich die Oberhand gewonnen. Vorwiegend wandern junge Menschen auf der Suche nach Arbeit und Bildung, welche ihnen das Heimatland offensichtlich nicht bieten kann, aus. Aber wie ist der Standpunkt ihres Herkunftslandes gegenüber der Diaspora?“
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Es ist eine allgemein bekannte Angabe, dass die Zahl der Serben außerhalb von Serbien gleich (wenn nicht größer) ist, als im eigentlichen Serbien. Das Sprichwort „Sprich Serbisch, damit dich die ganze Welt versteht“ ist nicht einfach so entstanden, sondern aus der Tatsache, dass das serbische Volk überall in der weiten Welt verstreut ist. In manchen Ländern (Kroatien, Ungarn, Rumänien und ähnl.) leben Serben seit Jahrhunderten und manche haben sie erst in den letzten paar Jahrzehnten entdeckt. Dieser Text befasst sich mit der Auswanderung der Serben und dem Verhältnis des Herkunftslandes Serbien zu seinen Auswanderern.
Wir können die Zeit der serbischen Diaspora in zwei Epochen einteilen. Die erste ist auf jeden Fall die Auswanderung der Serben aus Serbien, Bosnien, Herzegowina und Montenegro in die umliegenden Länder zur Zeit der türkischen Eroberungen. Obwohl ausgewandert und in den umliegenden Staaten tief verwurzelt, hat diese Diaspora niemals das versklavte Vaterland aufgegeben. Es ist bekannt, dass die größte Hilfe für die Aufständischen am Anfang des 19. Jahrhunderts von der serbischen Diaspora aus dem damaligen kaiserlichen Österreich (Buda, Petrovaradin, Trieste, usw.) kam. Die zweite Epoche begann nach der Befreiung Serbiens von den Türken. Die serbische Intelligenz verlässt Serbien wegen ihrer Bildung in Deutschland, Frankreich und Österreich, wobei das arme serbische Volk aus Dalmatien, Lika, Bosnien, usw. immer mehr über den Ozean in die Vereinigten Staaten zieht. Auch diese Diaspora hat ihre Verbindungen mit dem Herkunftsland nicht abgebrochen, sondern kam in den meisten Fällen nach der Beendigung ihrer Bildung zurück ins Vaterland, wobei die Diaspora aus den USA ihren Familien, die daheim geblieben sind, immer eifrig Geld geschickt hat. Die Verbundenheit der serbischen Diaspora aus den USA mit dem Herkunftsland hat sich am besten während dem Ersten Weltkrieg gezeigt, als die Zahl der serbischen Freiwilligen, die aus den USA zurückgekehrt sind um das Vaterland zu verteidigen, einige Tausend erreicht hat (einige Schätzungen gehen auch über 40.000 Freiwillige).
– Serbische Freiwillige Soldaten aus den USA im Ersten Weltkrieg –
Die dritte Auswanderungsepoche begann nach dem Sturz der nationalen und antikomunistischen Kräfte 1945. Diese Diaspora, welche bald in eine organisierte und für das kommunistische Jugoslawien gefährliche Emigration übergehen wird, hat sich vorwiegend in den USA, Australien, Großbritannien und etwas weniger in Südamerika und in Deutschland konzentriert. Da es in dergleichen viele Offiziere, Geistliche, Soldaten, Intellektuelle, usw. gegeben hat, hat diese Diaspora es in kurzer Zeit geschafft sich politisch und gesellschaftlich in den Ländern, in welchen sie ihre neue Heimat gefunden hat, zu organisieren. Nach jahrelangen Versuchen das kommunistische System zu stürzen, hat sich der größere Teil dieser Diaspora ziemlich erfolgreich weltweit niedergelassen und alle Verbindungen mit ihrem Herkunftsland wurden praktisch in dem Augenblick, als sie die serbischen Grenzen überschritten haben, abgebrochen. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg haben die KPJ (Kommunistische Partei Jugoslawiens) und die UDBA (Uprava državne bezbednosti – Staatssicherheitsverwaltung) ihre Zeit vorwiegend für die Bekämpfung der „feindlichen Emigration“ benutzt, was auch Liquidationen von „Volksfeinden“ umfasste, sodass die Nachkriegsdiaspora unter einem großen Druck ihres „Herkunftslandes“ gestanden hat.
Wegen der schweren wirtschaftlichen Situation im Land und der wachsenden Empörung gegen das kommunistische Regime war Tito Mitte der 60-er Jahre gezwungen die Grenzen nach Westeuoropa zu öffnen, was wir als die vierte Auswanderungsepoche der Serben, die umgangssprachlich als „Gastarbeiter“ genannt werden, charakterisieren können. Damals haben vorwiegend arme serbische Bauern und Handwerker aus Serbien, Bosnien und Kroatien das Vaterland auf der Suche nach besserem Lebensstandard verlassen, wobei die Anzahl der Aussiedler aus Montenegro, Herzegowina und Nordmazedonien wesentlich geringer war. Diese Auswanderung hatte zum Ziel die Arbeitslosigkeit in der SFRJ (Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien) zu verringern sowie den Zufluss von Fremdwährung in das Land zu sichern. Die Verbindungen dieser Diaspora mit dem Herkunftsland waren außerordentlich stark. Die Kontrolle der KPJ und der UDBA über diese Aussiedler hat sogar außerhalb des Landes nicht nachgelassen. Es wurden Personen angeworben, die Acht geben sollten, dass die Auswanderer nicht aus ihrem ideologischen Rahmen treten und mit wem sie in Kontakt kommen. Die Kinder der Auswanderer blieben am häufigsten in der Heimat mit ihren Großeltern zurück und die seltenen Ausnahmefälle wurden unbedingt zum Unterricht der Muttersprache, wo sie Lieder über Tito, die Partisanen und Pioniere lernten, geschickt. Diese Diaspora stürmte in den 60-er und 70-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vorwiegend die Länder Westeuropas, wo die nationale Emigration sehr schwach befestigt war, sodass es zu keinen größeren Konflikten kam. Die Gastarbeiter, deren Mehrheit mit dem Ziel auf ein bis zwei Jahre kam, um sich genug Geld für ein Haus und ein Auto zu verdienen, hatten keine Möglichkeit sich wesentlicher in den neuen Staaten zu verwurzeln. Die Kontrolle und die Propaganda der KPJ, das Fehlen von Intellektuellen und die Abwesenheit des Wunsches in den westeuropäischen Ländern ihnen irgendetwas anderes als die Grundgehälter (am häufigsten niedrige Gehälter) anzubieten, machten jede ernsthaftere Integration im neuen Umfeld unmöglich.
Als die fünfte Epoche der Auswanderung kann die Flüchtlingswelle aus den 90-er Jahren genannt werden, als die vom Krieg und Armut aus allen serbischen Gegenden vertriebenen Serben sich endgültig weltweit zerstreuten, sodass es sie heute von Island bis Südafrika überall gibt. Die Generation der Auswanderer hatte entweder im Krieg alles verloren oder definitiv die Rückkehr ins Vaterland aufgegeben und hat sich demgemäß im neuen Umfeld, wo sie von Null beginnen musste, leichter zurechtgefunden. Man kann sagen, dass sich diese Auswanderer sehr gut ins neue Umfeld integriert haben, leider sehr oft zum Schaden der Bildung ihres Nachwuchses, der am häufigsten über die eigene Sprache, Herkunft und sein Herkunftsland sehr wenig oder nichts weiß.
– Die serbische Diaspora in Innsbruck demonstriert 1999 gegen das NATO-Bombardement der Bundesrepublik Jugoslawien –
Die Auswanderung aus Serbien, Montenegro, der Serbischen Republik (Republika Srpska) und aus anderen serbischen Gebieten dauert noch heutzutage und hat ziemlich die Oberhand gewonnen. Vorwiegend wandern junge Menschen auf der Suche nach Arbeit und Bildung, welche ihnen das Heimatland offensichtlich nicht bieten kann, aus. Aber wie ist der Standpunkt ihres Herkunftslandes gegenüber der Diaspora?
Wie schon gesagt, waren die Verbindungen des Vaterlandes und seiner Diaspora in allen Zeiträumen vor 1941 außergewöhnlich stark und nach 1945 erfolgte praktisch der Abbruch aller Beziehungen bis zu den 60-er Jahren, als die SFRJ hauptsächlich die ihr loyalen und politisch nicht interessierten Arbeiter und Bauern mit der gleichzeitigen Verfolgung der „feindlichen Emigration“ gehen lässt. Miloševićs Regime hat die gleiche Matrix übernommen und die Diaspora vorwiegend als eine feindlich gesinnte Emigration betrachtet, obwohl er von derselben während den Kriegen auf dem Balkan finanzielle und humanitäre Hilfe verlangt und erwartet hat. Mit dem Fall seines Regimes erwartete man von den neuen Machthabern das Verhältnis zur Diaspora zu verbessern und dass die Diaspora endlich ihr Herkunftsland als Teil von sich selbst zu empfinden beginnt.
Dazu kam es aber nicht. Trotz kräftigen Aufrufen, die Diaspora solle in Serbien investieren und trotz aller schönen Worte, begegneten diejenigen, die aus Vaterlandsliebe entschlossen hatten in Serbien und in andere serbische Gegenden Geld zu investieren, sehr bald der Realität, welche sich in Korruption, Bestechung und Schutzgelderpressungen widerspiegelte. Außer der Regierung von Vojislav Koštunica hat keine serbische Regierung ein Interesse gezeigt mit der Diaspora ernsthafter zusammenzuarbeiten und der Diaspora etwas anzubieten. Die Regierung der Republika Srpska hat in den letzten paar Jahren einige Vertretungen weltweit eröffnet und man kann sagen, dass damit das Ansehen der Republika Srpska unter der Diaspora zum Teil verbessert wurde, denn die Leiter der Vertretungen haben Arten und Willen gefunden sich an die Diaspora zu wenden und mit ihr auch einige national bedeutende Projekte durchzuführen. Trotzdem ist klar, dass die Republika Srpska kein selbstständiger Staat ist und keine Möglichkleiten besitzt, um eine ernsthaftere Aktion zu starten und Initiative zu ergreifen.
Andererseits, gibt es in der Republik Serbien weder den Willen noch den Wunsch mit der Diaspora zu verhandeln und man schaut auf die Diaspora weiterhin als auf eine feindliche Emigration. Das einzige was die Regierungen in Serbien von der Diaspora fordern ist Geld, ohne ihr irgendetwas dafür zurückzugeben.
Die diplomatischen Vertretungen Serbiens unternehmen in diesem Bereich nichts oder sehr wenig, aus dem einfachen Grund, weil sich in ihnen ein parteiisch ausgewähltes, unfachliches und ungebildetes Personal befindet. Dort wo sich noch einigermaßen gebildetes Personal befindet, handelt es sich vorwiegend um Reste der SFRJ-Diplomatie, welche weder das Gefühl, noch die Kenntnisse für eine Zusammenarbeit mit Serben außerhalb Serbiens, die hauptsächlich den serbischen Nationalideen treu sind, besitzen. Diese Ideen sind für die SFRJ-Diplomaten vom Grundsatz her fremd und unfassbar. Wegen all dem soll man nicht erstaunt sein, dass die Serben außerhalb Serbiens ihre Vertreter nicht in den Botschaften und Konsulaten, sondern am meisten in der Serbischen Orthodoxen Kirche (SOK) sehen, um welche sie es schaffen sich trotzdem zu versammeln. Vielleicht würden sie sich noch mehr um sie versammeln, wenn die SOK in der Frage der Lösung offener serbischer Themen im Heimatland aber auch in der Diaspora etwas innovativer und unternehmerischer wäre.
Aus all diesen Gründen reift in der Diaspora langsam aber sicher der Gedanke, dass die Lösung der Probleme welche die Diaspora hat (wie z.B. die serbische Sprache als Wahlfach in Schulen u. ä.) in dem Land umgesetzt werden muss in dem unsere Menschen leben, denn ihr Herkunftsland ist weder stark genug, noch ist es bereit diese Themen auf die Tagesordnung zu setzen und eventuell zur Lösung beizutragen. Diese Form von Organisation und der Lösung von Problemen hat die serbische Diaspora in den USA und in Australien mehr oder weniger angenommen und es ist zu erwarten, dass dieser Trend auch in Westeuropa aufkommt, was in der Zukunft zum weiteren Trennung zwischen der serbischen Diaspora und ihrem Heimatland führen wird. Das wird dazu führen, dass sich die serbische Diaspora wie in den USA grundsätzlich mit dem Vaterland identifiziert, aber ihren Lebensraum ausschließlich außerhalb des Vaterlandes und in dem Land, in dem sie sich aufhält, sieht. In Zukunft würde das auch eine größere Kluft zwischen der Diaspora und der serbischen Identität zur Folge haben, und nach einigen Generationen wahrscheinlich auch die Assimilierung in die mehrheitliche Bevölkerung, wie es schon in Ungarn und in Kroatien geschehen ist…
Dieser Text erschien in der Rubrik Integration der 10. Ausgabe der Zeitschrift „Spoji!“ die Diana Budisavljević (geb. Obexer) gewidmet war.